Die East Side Gallery

von Thierry Noir, übersetzt von Jean Pierre Riber.

Die East Side Gallery ist ein Teil der Berliner Mauer. Ungefähr 1,3 Kilometer lang, längs des Flusses, der Berlin durchquert: die Spree. An diesem Ort der ehemaligen Grenze zwischen Ost und West lag also das Flußufer. Der Fluß selbst gehörte zu Ostberlin.

Doch da es der DDR eigentlich unmöglich war, die Mauer direkt an das Flußufer zu setzen, befiehl seinen Grenzsoldaten, die Mauer etwas rückwärts von Fluß zu bauen. Tag für Tag, rund um die Uhr, patrouillierten die Grenztruppen per Boot auf dem Fluß. Sie gingen oft bis ans Ufer, um wohl allen zu zeigen wo die grenze lag.

Dieser Teil der Mauer, den Westberlinern völlig unzugänglich, wurde also nicht bemalt und behielt seine graue Seite bis zum der neunziger Jahre. Doch dann, ab Januar 1990, gezielt durch seine Länge und graue Fläche, sah sich jener Mauerteil mit allerhand Plakaten verziert, sowohl für Werbungszwecke als für kulturelle Veranstaltungen.

Mehrere Personen aus Ostberlin hatten sodann die Idee -und auch die Gelegenheit- eine GmbH zu gründen, deren Aufgabe es von nun war, das Bemalen dieses Mauerteils zu organisieren. Ab Mai 1990, und bis Oktober desselben Jahres, wurden mehr als hundert Künstler aus verschiedenen Ländern dazu eingeladen, eine mehr oder weniger Fläche dieser grauen Mauer zu bemalen.

Sie wurde getauft unter dem Namen "East Side Gallery" die Galerie auf der östliche Seite, um daran zu erinnern, daß dieses Mauerstück an der östliche Seite Berlins lag. Geradezu ist es auch eine Huldigung an die Kunstgalerien in New York, welche in dem East Side Viertel gelegen sind. Jeder Künstler bekam einen Platz zugeschrieben. Als Gegenpartie dafür mußte er, und dies für die fünf kommenden Jahre, seine diesem Werk verbunden Künstlerrechte den Organisatoren der East Side Gallery abtreten. Und wiederum sollte jeder Künstler dafür 500 DM erhalten.

Die meisten Künstler hatten später zum Prozeß zu greifen, um dieses versprochene Geld zu erhalten. Andere bekamen nicht einen hohlen Pfennig. Dies hinterließ allen Künstler einen bitteren Geschmack im Munde, da sie wohl sahen, daß die ab Mauermotiven produzierten Postkarten, Posters und T-Shirts sich gut verkaufen, und daß diese, nach einigen Monaten, langsam aber sicher, den Kurs das Verfalls ansteuerten.

Autos und Kraftfahrzeuge, die auf der breiten Avenue längs der Mauer hin und her fuhren, sorgten ganz natürlich für zerstören Abgase. Die Touristen schrieben ihren Namen oder hinterließen eine Botschaft auf den Malereien. Einige unter ihnen griffen sogar zu Hammer und Meißel, um Betonstücke auszuschlagen und sie später zu verkaufen.

Durch all das, und Dank der Qualität der Farbe, die den Künstlern 1990 durch die Organisatoren geliefert worden war, kam es allzu soweit, daß fast alle Malereien der East Side Gallery der Zerstörung zum Opfer fielen. Einige Künstler -unter ihnen Thierry Noir, Kani Alavi, Günther Schaefer und andere- beschlossen, der Resignation ein Ende zu setzen und alles zu tun, um diese East Side Gallery zu restaurieren. Dieser Teil der Berliner Mauer ist genau so wichtig für die Geschichte Berlins als die Gedächtniskirche, die, wie ja jeder weiß, nach Kriegsende halb zerstört erhalten bleiben sollte.

Trotz aller Untersagen und Mangel an Geldes, gelang es den Künstlern am 8. September 1996, nahezu 20 andere Künstler zu bewegen, von nun an alle bereit, sich gegen die Gleichgültigkeit der Geschichte zu wehren, und den kommenden Generationen, ein Denkmal zu setzen.