Graffiti an der Mauer. August 1984.


Die Akteure der Mauerkunst, am Bethanien Damm, hinter dem Mariannenplatz sind entlarvt. Es handelt sich um zwei junge französische Künstler.
Erst einmal Thierry Noir, Jahrgang 1958, geboren in Lyon und lebt seit Januar 1982 in Berlin. Hier in Berlin, lebt er in Georg von Rauch-Haus, von wo aus, es eine blendende Aussicht auf die Mauer gibt. Bevor er nach Berlin kam, querte er Frankreich durch. Außer mit Graffiti, beschäftigt Thierry Noir sich, mit Musik.

Er spielt mit, in der Gruppe "Sprung aus den Wolken". Die Art der Musik definiert er als Loop. Loop-Musik sind Rhythmen und Klänge die gleich dem Looping, ständig wiederkehren und, wie grenzenlos, niemals enden. Wenn er nicht aus den Wolken springt, dann entdeckt er sich Pinselstrich für Pinselstrich selbst an der Mauer. Skizzen macht er gar keine.

Die Themen ergeben sich aus seiner Stimmung und dem Wetter. Seine Themen vertiefen sich, sind immer mehr er selbst. Es ist ein Art Tagebuch, eine tägliche Aufzeichnung an der Mauer. Aber Bilder sagen oft mehr als Worte. Thierry Noir schreibt sein persönliches Manifest in Hieroglyphen auf der Berliner Mauer. Er hat vor der Tür eine grenzenlose Möglichkeit sich auszudrücken. Er nimmt diese Möglichkeit als Glück, und fühle sich damit privilegiert, aber vergißt nicht, daß die Mauer eine blutige Grenze ist.
Außerdem bringt er mit seiner Mauermalerei, Arbeitsplätze für andere. Es werde Fotoausstellungen über die Mauergraffiti gemacht. Postkarten und Bücher werden davon überall verkauft. Die Medien machen ständig Berichte darüber. Er erwarte lächelnd, eventuell bald ein Dankeschön vom Arbeitsamt.

Das Leben von Thierry Noir und sein Engagement ist sehr stark vom Georg von Rauch-Haus geprägt. Das Rauch-Haus ist sozusagen der Urahne der Besetzen Häuser in Berlin.
"Der Mariannenplatz war blau, soviel Bullen waren da". So besangen es schon 1972, die Gruppe Ton, Steine, Scherben. Seit Jahren ist das Haus eine Anlaufstelle für Jugendliche Treber in der Stadt. Im Juni 1978, schloß den Senat von Berlin, ein Abkommen mit den Besetzen des Rauch-Haus, um sie dort wohnen zu lassen. Sie bekamen ein Mietvertrag und könnte dann sich offiziell um die Jugendliche und Treber kümmern. Das Jugendzentrum Kreuzberg e.V. war geboren. Die Leute im Haus sind mittlerweile älter geworden, doch alt genug, sich auf den Weg zu machen. Kreativität ist ein Weg, ein besonders guter sogar!

Der Senat verschließt natürlich Augen und Ohren, er will das Haus auflösen, die Mittel streichen. Thierry Noirs Idee wäre das Haus, im einem neues Kreuzberger Kunst und Kultur, zu ändern. Das Kukuck am Anhalter Bahnhof schloß am 24 Juli 1984, seine Pforten. Jetzt fehlt in Kreuzberg, ein Haus wo man flexibel und unzensiert, Kunst machen kann. Begünstigend auf seine wirtschaftliche Situation wirkt sich das mietfreie Wohnen im Rauch-Haus aus. Noch ein Pluspunkt, der für eine Kunst und Kulturzentrum spricht. Kunst ist Arbeit, harte Arbeit, die meistens nicht einmal Früchte trägt.

Im April 1984 haben Thierry Noir und Christophe Bouchet, die Idee die Berliner Mauer hinter das Rauch-Haus zu bemalen. Seit November 1982, machen sie gemeinsam Radierungen im Keller des Rauch-Haus, jetzt haben die beide ein riesiges Projekt. Sie wollen die Berliner Mauer, von Mariannenplatz bis zum Reichstag bemalen. Eine Lebensaufgabe.

Der zweiten französischer Künstler, Christophe Bouchet, Jahrgang 1959, geboren in Saint-Aignan sur Cher, Loiretal, lebt seit Dezember 1980 in Berlin. Bouchet hat eine sachbezogene Ausbildung. Er machte in den siebziger Jahren, in Paris, ein Diplom als Graphiker und Bildhauer. Christophe Bouchet ist schwerhörig und dieser Umstand prägt seine Persönlichkeit und sein künstlerisches Schaffen sehr. Als Kind einer vielköpfigen Familie kam er auf Grund einer Hörbehinderung von 70%, in eine spezielle Schule. Er konnte dort Fähigkeiten entfalten, die er als gesunder Junge nie hätte entwickeln können, weil sie nicht gefördert worden wären. Bereits mit 21 Jahren hatte er seiner Diplome in der Tasche und zog nach Berlin. In Deutschland hatte er große Integrationsschwerigkeiten und mußte oft sein Atelier wechseln. Die deutsche Sprache nicht mächtig und zudem auch schwerhörig, ein gefundenes Fressen für die Räder unserer Bürokratie.

Thierry Noir fand ihm ein Platz im Rauch-Haus, Bouchet könnte ab November 1982, sein Atelier dauerhaft behalten. Bouchet versucht wie Thierry Noir von seiner Kunst zu leben und verkauft seine Bilder auf den Bürgersteig vor der Ku'damm Karree in Berlin Charlottenburg.

Auf die Frage, welche Intention Christophe Bouchet verfolgt wenn, er auf die Mauer bemale, antworte er: "Als fast Taubstummer, fühle ich mich meiner Umwelt gegenüber ständig wie von einer Glocke umhüllt. Alle Außengeräusche kommen entweder gar nicht oder wie durch wie durch ein Wattepolster zu mir. Gegen die Mauer, kämpfe ich gegen das Element Außenwelt". Noir und Bouchet, 2 Künstler die sich nicht so ernst nehmen, aber die Weltgeschichte hat sie schon längst ernst genommen.

Ulrike.